10. Leipziger Wohnprojektetage

 

Gemeinschaftliche Wohnprojekte überzeugen u.a. durch ihre hohe baukulturelle Qualität, ihren sozialen, kulturellen oder ökologischen Mehrwert für die Quartiere sowie durch die Schaffung von dauerhaft bezahlbarem Wohnraum. Die Projekte ermöglichen den Bewohner*innen eine individuelle Gestaltung ihres Zusammenlebens in den Bereichen Autonomie (Selbstverwaltung), Gemeinschaft (Solidarität und gemeinsame Werte / gemeinsames Leben) oder auch Innovation (besondere Ideen). Den o.g. Mehrwert leisten die kooperativen Wohnprojekte, durch Aktivitäten und Engagement, bei dem häufig auch die Nachbarschaft eingebunden wird.

 

Ausgewählte Schriftenreihen des NETZWERKS LEIPZIGER FREIHEIT, Foto: Thomas Puschmann

 

Auf den 10. Leipziger Wohnprojektetagen (L-WPT) stand dieser Beitrag für das Gemeinwohl in Leipzig im Vordergrund. Dabei wurden diese transformativen Kräfte – ganz im Lichte der Neuen Leipzig Charta – beleuchtet und mit Beispielen illustriert. Es geht also um Wohnprojekte

 

  • als Pioniere sozialer und ökologischer Quartiersentwicklung
  • als Orte der Integration und Inklusion
  • als Partner für soziale Projekte im Quartier/ Nachbarschaften
  • als Konzeptionisten für flächen- und platzsparende Wohnweisen (individuelle Nutzungen versus gemeinschaftliche Nutzungen)

 

Wohnungspolitisch liegt der Stadt viel an dem Gemeinwohlbeitrag dieser besonderen Wohnprojekte. Daher haben sie in der Vergangenheit in unterschiedlicher Form auch Unterstützung von der Politik erhalten.

 

Zuletzt sind die Herausforderungen für die Realisierung selbstorganisierter innovativer Wohnprojekte allerdings bedeutend gestiegen, verursacht durch eine/den

 

  • sehr dynamische Baukosten- und nun auch Zinssteigerungen,
  • Wegfall des KfW-Investitionszuschusses im Bereich energieeffizienter Neubau,
  • weitere Steigerung der Immobilien- und Grundstückspreise.

 

Diese drei Faktoren stellen die Macher*innen von gemeinschaftlichen Wohnprojekten vor erhebliche, z.T. nicht überwindbare Herausforderungen. Es zeigt sich also ein neuer und durchaus erheblichen Unterstützungsbedarf. Auf dem 10. L-WPT wurden Strategien diskutiert, welche Möglichkeiten die Projekte  – auch gemeinsam mit den Kommunen – haben, diese Hemmnisse abzuschwächen. Damit sollte ein Stillstand in diesem Gemeinwohlbereich verhindert werden.

 

Blick auf den Holzrohbau der Klinge10 (welche die Bau- und Finanzierungskostensteigerungen auch empfindlich zu spüren bekommt) am Tag des Richtfestes am 21. Juli 22, Foto: Thomas Puschmann

 

Gast der 10. L-WPT war das neue Beratungsnetz für gemeinschaftliches Wohnen in den Landkreisen Sachsens. Somit suchte der Wohnprojektetag den Austausch zwischen Erfahrungen aus Leipzig und den umliegenden Landkreisen.

 

Die 10. L-WPT wurden am 23. September im Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität Leipzig (GWZ) durchgeführt. Der 24. September war dann der Exkursionstag.

Begrüßung Einstieg in den Tag

Ute Gläser stv. Amtsleiterin Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung

Winfried Haas, Arbeitskreis Integriertes Wohnen e.V.

Jens Gerhardt-Strahl, Koordinationsstelle Netzwerk Leipziger Freiheit (Tagesmoderation)

SLOT WOHNPROJEKTE: MEHR ALS WOHNEN

Frau Christine Henseling vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) stellte Forschungsergebnisse bezüglich sozialer, ökologischer und ökonomischer Effekte und Potenziale gemeinschaftlicher Wohnformen vor. Dazu wurden zehn ausgewählte Projekte in Deutschland und Wien untersucht und im Rahmen von Interviews, qualitativen und quantitativen Auswertungen und verschiedenen Vergleichen unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten betrachtet. Fazit ist, dass gemeinschaftliche Wohnformen viele Vorteile für Bewohner*innen bergen und Potenziale für eine nachhaltige Stadtentwicklung beinhalten. Jedoch ist dazu eine hohe Bereitschaft der Bewohner*innen und starkes Engagement von Nöten.

Herr Uwe Oldenburg begab sich auf lange Reise und berichtete aus München als Vorstand seines Wohnprojektes KunstWohnWerke eG. Der Gründungsprozess dieses Projektes geschah ungewohnt. Zuerst waren Künstler*innen da und erst danach kam der Wunsch nach Wohnraum. Daraus entwickelte sich eine Mischung aus Ateliers und Wohnen, streitfeld genannt und lokalisiert in einem Gewerbegebiet zentrumsnah im Osten Münchens.

Einen weiteren Einblick in eine andere Stadt ermöglichte Herr David Robotham. Er arbeitet bei der „Am Ostseeplatz“ eG und stellte das Projekt Lynarstraße-Berlin vor. Dabei handelte es sich um ein sehr schmales Baugrundstück gelegen zwischen Straße und Gleis. Die eG nutzte dieses als unattraktiv geltende Land und schuf einen dreiteiligen Gebäudekomplex, welcher über großflächige Brücken verbunden ist. Im Erdgeschoss integrierte sie soziale Träger wie eine KITA, eine Demenz-WG und ein Nachtcafé der Berliner Obdachlosenhilfe e.V. Die Stockwerke darüber verfügen über Wohnraum in gemeinschaftlicher Nutzung, welcher in Abstimmung mit zukünftigen Bewohnenden unterschiedlich viel Privatsphäre und Gemeinschaftsfläche bietet.

SLOT PODIUMSDISKUSSION

Mit den Vortragenden vom 1. Slot

& Dr. Tobias Peter | stv. Vorsitzender vom Zeitweilig beratenden Ausschuss Wohnen | Bündnis 90/Die Grünen

Moderation: Jan Schaaf & Jens Gerhardt-Strahl KS NETZWERK LEIPZIGER FREIHEIT

 

Bei einer Podiumsdiskussion mit Frau Henseling, Herrn Oldenburg und Herrn Robotham brachte Herr Dr. Peter als stellvertretender Vorsitzende vom Zeitweilig beratenden Ausschuss Wohnen ebenfalls seine Perspektiven ein. Moderiert wurde von Jens Gerhardt-Strahl und Jan Schaaf und das Publikum bekam ebenfalls die Chance, zahlreiche spannende Fragen zu stellen. Fazit der Gesprächsrunde war, dass sich weite Teile der Politik zu den Wohnprojekten bekennen, es jedoch aktive Unterstützung braucht, um die Umsetzung auch langfristig zu gewährleisten.

SLOT NACHHALTIGKEIT BEIM GEMEINSCHAFTLICHEN

Die herausfordernde Situation für Bauwillige vertiefte Herr Florian Schartel vom Haus- und WagenRat e.V. Dabei ging er auf die stark gestiegenen Kreditzinsen bei den Banken sowie die erhöhten Baukosten ein. Zwischen Mai 2021 und Februar 2022 stiegen diese um ca. 12,9%. Zudem sind Förderzuschüsse der KfW weggefallen. Schartel wagte den Blick in die Zukunft, welche von vielen Unsicherheiten geprägt ist. Mit möglichen neuen Förderprogrammen kann nur schwer geplant werden. Für aktuell bewilligte Konzepte wird jedoch nach einer Fördermöglichkeit gesucht.

Nach so wenig Licht am Ende des Tunnels stellten Sonja Ries und Kai Kuhnhenn die 2017 gegründete SoWo Leipzig eG (Solidarische Wohnungsgenossenschaft) vor. Die SoWo kauft mit Initiativen / Mieter*innen von ihnen bewohnte Häuser auf und schließt einen Nutzungsvertrag mit der Hausgemeinschaft. Diese kann daraufhin die Immobilie weiterhin dauerhaft bewohnen und ist Mitglied in der SoWo. Das Ziel der SoWo ist es, Wohnraum dauerhaft Spekulationen zu entziehen und stattdessen stabile sowie günstige Mieten zu schaffen. Aktuell zählt die SoWo 314 Mitglieder und besitzt 6 Häuser, in denen die Kaltmieten zwischen 4,8 und 7,5 Euro liegen.

Dass Bauen auch anders gehen kann und muss, verdeutlichten Christoph Wendland und Tore Waldhausen vom Bauzirkel Leipzig/ Architects for Future. So fing ihr Vortrag mit erschreckenden Zahlen an: Z.B. werden ca. 60% des deutschen Abfallaufkommens und 40% der deutschen CO2 Emissionen vom Bauwesen verursacht! Aus diesem Grund fordern sie nach dem Cradle to Cradle-Ansatz das Denken und Planen in Kreisläufen. Gebäude sollen wie Bäume und Städte wie Wälder werden. Als Organisation, die diese Ziele umsetzen will, wurden die Architects for future vorgestellt. Dabei ging es um deren Aufbau, Ortsgruppen, aktuellen Projekten und aufgestellten Agenda mit ihren 7 Punkten für alle Aktiven in der Baubranche.

SLOT NEUIGKEITEN

Für Interessierte an Grundstücken für den kooperativen Neubau wurde es bei der Vorstellung des aktuellen Konzeptverfahrens spannend. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung zum Ablauf von den Konzeptverfahren des Netzwerkes Leipziger Freiheit von Frau Dr. Tanja Korzer und Frau Julia Lerz stellten sie die neuen Grundstücke für das 3. Konzeptverfahren kurz vor. Weiterführende Fragen konnten anschließend in einem Workshop gestellt werden. Für all diejenigen, die Interesse an einem Wohnprojekt haben: Weiteren Infos gibt es hier und Mitstreiter*innen können hier online gesucht werden.

Als neu gegründete Landesberatungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen & Bauen in Sachsen stellte Herr Michael Stellmacher die Dezentrale vor. Ihre Sitze sind in Leipzig und Dresden. Die Dezentrale ist Ansprechpartner*in für alle Interessierten an gemeinschaftlichem Wohnen in den Landkreisen Sachsens. Die Attraktivität von gemeinschaftlichen Wohnprojekten auf dem Land machte Stellmacher anhand verschiedener Beispielprojekte deutlich. So ist z.B. gerade auf dem Land, wo Raum günstig ist, Platz für neue Ideen. Erfahrungsaustausch zu Projekten in Kleinstädten und auf dem Land gab es anschließend bei zwei Workshops. Interessierte können an den regelmäßig stattfinden digitalen offenen Sprechstunden der Dezentrale teilnehmen.

SLOT WORKSHOPSPHASE II & MARKT DER MÖGLICHKEITEN

Am Nachmittag fanden verschiedene Workshops statt, die Teilnehmenden Erfahrungsaustausch in kleinerer Runde ermöglichten:

 

Kolloquium zur 3. Ausschreibung Konzeptverfahren für gemeinschaftliches Bauen in Leipzig

Julia Lerz, Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung (AWS)

Dr. Tanja Korzer, Koordinierungsstelle NETZWERK LEIPZIGER FREIHEIT | 20 min Vortrag mit Nachfragen

Florian Schartel, Haus- und WagenRat e.V. | Konzeptberater im NETZWERK LEIPZIGER FREIHEIT

 

Wohnprojekte in der Kleinstadt 

mit Steffen Balmer, GrundGenug eG, Wohnprojekt Regis-Breitigen

Moderation: Gregor Meister, Dezentrale – Netz für gemeinschaftliches Wohnen in Sachsen

 

Mieter*innen übernehmen ihr Haus in der Gemeinschaft
Roman Grabolle | Haus- und WagenRat e.V. | Berater im NETZWERK LEIPZIGER FREIHEIT

Jens Gerhardt-Strahl, Koordinierungsstelle NETZWERK LEIPZIGER FREIHEIT

 

… mit ErfahrungsKURZberichten von:

Campestraße 1 – CAMPINGSTREET (Claudia & Christian, Projektinfos hier)

EinHaus Reichpietschstraße 13 eG (Claudia Dislich, Projektinfos hier)

 

Wohnprojekte auf dem Dorf

mit Ulrike Hippe von Terebinthia e.V., Hofgemeinschaft aus Pehritzsch (Nordsachsen)

Moderation: Gregor Meister, Dezentrale – Netz für gemeinschaftliches Wohnen in Sachsen

 

Parallel gab es den Markt der Möglichkeiten, bei dem Banken, Wohnprojekte und Initiativen sich vor- und Informationen bereitstellten.

 

Nach den spannenden theoretischen Beiträgen am 23. September öffneten am 24. September verschiedene Wohnprojekte ihre Türen wie dem OurHaus, der Baugemeinschaft W 132 und dem Sellerhaus. Zudem bot die Dezentrale eine Radtour durch das Leipziger Muldenland an, bei der für Wohnprojekte geeignete leerstehende Häuser besichtigt wurden und Herr Ehrich führte durch die Baustelle eines Tiny-Musterhauses in Strohballenbauweise in Kleinkorbetha.

 

Wir möchten uns bei allen Mitwirkenden für die gelungenen Tage bedanken und hoffen, uns in zwei Jahren wiederzusehen.